
Ich bin Hans, Hans Luchtenstein – später nannte ich mich John Ludlow. Ich wurde 1921 in Wurzen geboren. Mein Vater Hugo Luchtenstein war ein angesehener Kaufmann, unser Kaufhaus in der Jacobsgasse 8, eine beliebte Adresse. Freundliche Atmosphäre, faire Preise, gute Qualität – die Wurzener kamen gern zu uns. Meine Mutter Hedwig war warmherzig und lebensfroh, sie arbeitete als Buchhalterin im Geschäft. Mit meinem Bruder Walter wuchs ich in einem liebevollen, jüdisch geprägten Elternhaus auf. Wir besuchten Schule und Gymnasium in Wurzen, feierten den Shabbat, gingen in Leipzig in die Synagoge. 1928 zogen wir in eine Stadtvilla in der Fischerstraße – heute heißt sie Heinrich-Heine-Straße. Es waren glückliche Jahre.
Doch dann kam 1933. Die Nationalsozialisten brachten Hass und Gewalt. Im Novemberpogrom 1938 wurde unser Geschäft verwüstet, geplündert. Mein Vater und Walter wurden verhaftet. Walter kam ins KZ Sachsenhausen und konnte 1939 nach England fliehen – ich folgte ihm kurz darauf. Unsere Eltern mussten ihr „arisiertes“ Geschäft verlassen und flohen nach Berlin. Am 18. Oktober 1941 wurden sie nach Lodz deportiert, am 8. Mai 1942 im Vernichtungslager Kulmhof ermordet. Walter und ich überlebten im Exil. In England gründeten wir Familien und wurden alt. Walter blieb seiner Heimatstadt verbunden – , besuchte Wurzen mehrfach, traf sich mit ehemaligen Angestellten unseres Vaters. ich kehrte nie zurück.
Walter starb 1999. Ich starb 2005. Umso bedeutender war es, dass 2013 in Wurzen Stolpersteine für unsere Familie verlegt wurden – im Beisein unserer Kinder und Enkel. Ein Zeichen der Erinnerung, das bleibt.


