Familie Seligmann

Mein Name ist Artur Seligmann. Ich wurde 1893 in Ilienworth bei Cuxhaven geboren. Meine Eltern, Jacob und Mathilde Seligmann, waren aus der Nähe von Hannover dorthin gezogen, um eine Praxis zu gründen. Nach dem frühen Tod meines Vaters zog meine Mutter mit uns drei Kindern zurück nach Hannover.

Ich selbst wurde einige Tage nach meiner Geburt in der evangelischen Kirche St. Walhadi getauft, denn meine Eltern waren zum Christentum konvertiert.

Nach der Schule machte ich zunächst eine kaufmännische Lehre und kam 1914 nach Spanien. Dort hielt mich der Krieg fest. Später begann ich in Madrid Medizin zu studieren und setzte mein Studium in Leipzig fort, wo ich 1924 mein Staatsexamen ablegte. In Leipzig lernte ich meine Frau Susanne kennen. 1926 heirateten wir und zogen bald nach Wurzen, wo ich eine Praxis eröffnete.

Wir waren glücklich. Unsere Kinder, Claus-Dietrich und Susanne-Gisela, wurden im Dom getauft, wir zogen in eine große Wohnung in der Domgasse, und ich durfte viele Jahre als angesehener Arzt arbeiten.

Ab 1933 veränderte sich unser Leben radikal. Mir wurde die Arbeit verboten, unsere Kinder wurden ausgegrenzt. In der Nacht vom 9. November 1938 – der sogenannten Reichspogromnacht – wurde alles noch schlimmer. Vor unserem Haus tobte der Mob, und wir hörten Schreie. Meine Kinder fanden in dieser Nacht Zuflucht bei unserer Nachbarin. Ich selbst wurde wie viele jüdische Männer verhaftet und im Wurzener Schloss eingesperrt. Später kam ich ins KZ Sachsenhausen. Dass ich dieses Martyrium überlebte, verdanke ich auch dem Mut des Pfarrers Carl Magirius, der trotz der Gefahr, selbst verhaftet zu werden, versuchte, uns zu helfen. Unser Ziel war England und wir versuchten die Familie irgendwie auf die Insel zu bekommen. Es entkamen vorerst alle, außer ich.

Schließlich fand ich über Ecuador und Chile meinen Weg nach Liverpool. So waren wir als Familie dann 1939 wieder vereint.

In England baute ich mir mühsam ein neues Leben auf und konnte schließlich wieder als Arzt arbeiten – bis zu meinem Tod 1962 in London. Meine Frau arbeitete beim BBC, unsere Kinder fanden ihren Weg: Claus als Architekt in den USA, Susanne als Ärztin in England.

Meine Schwester Erna überlebte die Schoah nicht, und das Schicksal meiner Schwester Clara blieb ungeklärt und nach und nach rückte ihr und unser Schicksal in Vergessenheit. Umso mehr berührt es mich, dass seit 2015 in Wurzen Stolpersteine an uns alle erinnern.